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Laktat in der Sportmedizin / die anaerobe Schwelle
OA Dr. Josef Tomasits
  
 
I. GRUNDLAGEN

 

Der Energiestoffwechsel der Muskelzelle

Glykolyse
So wie in anderen Zellen, wird auch in der Muskelzelle Glukose ("Blutzucker") zur Energiegewinnung verstoffwechselt. Das beginnt mit der sog. Glykolyse, bei der aus der Glukose Pyruvat entsteht. Pro Molekül Glukose entstehen dabei zwei Moleküle des Energiespeichers ATP (Adenosintriphosphat). Die Glykolyse läuft ohne Verbrauch von Sauerstoff ab, sie ist also ein anaerober Vorgang.

Vereinfachtes Schema des Glukoseabbaus bei der Glykolyse Vereinfachtes Schema der Glykolyse
Die Glukose aus dem Blut oder aus den Glykogenspeichern der Zelle wird über mehrere Zwischenstufen zu Pyruvat abgebaut.
Dabei entstehen zwei Moleküle des Energiespeichemoleküls ATP.
Sauerstoff wird hierbei nicht verbraucht: anaerobe Energiegewinnung.

Zitronensäurezyklus und Atmungskette
In Ruhe oder bei nur geringer Belastung des Muskels wird praktisch das gesamte bei der Glykolyse entstehende Pyruvat in den sog. Zitronensäurezyklus eingeschleust. In diesem entstehen zwei Moleküle ATP pro Molekül Glukose. Im Verlauf des Glukoseabbaus und des Zitronensäurezyklus werden aber auch Wasserstoffatome (H) freigesetzt, die in der sog. Atmungskette verarbeitet werden. Dabei entstehen größere Mengen von ATP (aus der Wasserstoffverbrennung können 34 Moleküle ATP pro Molekül Glukose entstehen). Im Gegensatz zur Glykolyse wird hierbei aber Sauerstoff verbraucht (aerober Vorgang).
Der Zitronesäurezyklus und die Atmungskette laufen in speziellen Funktionseinheiten der Zellen, in den sog. Mitochondrien ab. Diese werden deshalb auch als Kraftwerke der Zellen bezeichnet.

Schema des Zitratzyklus Vereinfachtes Schema des Zitronensäurezyklus
Aus dem Pyruvat entsteht Acetyl-Coenzym A ("aktivierte Essigsäure"). Diese geht in den Zitronensäurezyklus ein.
Im Zyklus selbst entsteht nur 1 Molekül ATP, dafür werden aber 8 Wasserstoffatome freigesetzt. Diese können in der Atmungskette unter großem Energiegewinn verbrannt werden. Auch die anderen, beim Glukoseabbau freigewordenen Wasserstoffatome werden verbrannt.
Im Optimalfall entstehen aus einem Molekül Glukose insgesamt 38 Moleküle ATP.

Bei diesen Vorgängen wird Sauerstoff verbraucht: aerobe Energiegewinnung.

 

Wie entsteht Laktat?

Prinzipiell kann aus dem bei der Glykolyse gebildeten Pyruvat Laktat entstehen. Dies passiert bei geringem Energieumsatz aber praktisch nicht, da das gesamte Pyruvat in den Zitronensäurezyklus eingeschleust wird.
Bei hoher Belastungsintensität wird jedoch die Glykolyse hochgefahren (um zusätzlich Energie zu gewinnen). Es entsteht mehr Pyruvat als in den Zitronensäurezyklus eingeschleust werden kann. Die Pyruvatkonzentration in der Muskelzelle steigt an, was zur Umwandlung von Pyruvat in Laktat führt.

Entstehung von Laktat Entstehung von Laktat
Kann nicht das gesamte anfallende Pyruvat im Zitronensäurezyklus verarbeitet werden, entsteht Laktat. Dieses gelangt ins Blut und kann von anderen Organen (v.a. Herz, Leber, Niere) verwendet werden.

 

 

Wodurch wird die Glykolyse hochgefahren?

Die wichtigsten Faktoren zur Stimulierung der Glykolyse bei Belastung sind das Stresshormon Adrenalin und das ADP (Adenosindiphosphat). Adrenalin wird bei körperlichen Belastungen von der Nebenniere ausgeschüttet, ADP entsteht bei Energiegewinnung aus dem ATP, es ist gewissermaßen das "verbrauchte ATP". 

 

Was passiert mit dem entstandenen Laktat?

Bei hohen Laktatkonzentrationen tritt dieses aus den Muskelzellen und wird mit dem Blut abtransportiert. Laktat wird dann vor allem in Herz, Niere und Leber verstoffwechselt. Bis zu einer gewissen Belastungsintensität wird sich ein Gleichgewicht einstellen: es wird zwar vermehrt Laktat gebildet, aber auch vermehrt abgebaut. Es gibt keine Nettoproduktion. Der Spiegel im Blut wird erhöht aber konstant sein (Laktat-steady-state). Über eine bestimmten Belastungsschwelle kommt es zur Nettoproduktion von Laktat.

 

Wovon hängt es ab, ob Laktat entsteht?

Abgesehen von der Intensität der Muskelbelastung hängt dies vor allem von der verfügbaren Mitochondrienmasse des Muskels ab. In den Mitochondrien findet die Verarbeitung des Pyruvats statt. Mehr Mitochondrienmasse kann auch mehr Pyruvat verarbeiten, Laktat entsteht dann erst bei höheren Belastungen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Sauerstoffanlieferung zu den Mitochondrien (siehe weiter unten). Beide Faktoren hängen vom Trainingszustand ab.

 

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II. DIE ANAEROBE SCHWELLE

 

Was ist die anaerobe Schwelle?

Für die anaerobe Schwelle (ANS) gibt es keine einheitliche Definition; es gibt auch kaum einen Begriff, der derart häufig über- und auch fehlinterpretiert wird. Die anaerobe Schwelle ist u.a. definiert als diejenige Sauerstoffaufnahme einer Belastung, oberhalb derer neben der aeroben Energiebereitstellung zusätzliche anaerobe Stoffwechselprozesse notwendig werden, um die weiterhin steigende Belastung zu bewältigen. Die ANS hat nichts mit einen Mangel an Sauerstoff zu tun, den es in einem gesunden Organismus nie gibt, und bedeutet auch kein Umschalten von aerober auf anaerobe Energiebereitstellung. Die aerobe Energiebereitstellung läuft mit voller Aktivität weiter, die anaerobe erfolgt nur zusätzlich!

 

Wodurch kommt es zur Laktatproduktion bei Belastung?

Der wichtigste Faktor die bei zunehmender Belastung ansteigende ADP-Konzentration. Diese stimuliert in der Zelle die Glykolyse, wodurch mehr Pyruvat produziert wird, als im Zitronensäurezyklus verarbeitet werden kann. Dieses überschüssige Pyruvat wird zu Laktat umgewandelt und geht ins Blut über (Laktatproduktion). Mit dem Blut gelangt das Laktat in Organe (Herz, Niere, Leber) die es oxidativ abbauen können (Laktatelimination), sodass der Laktatspiegel im Blut zunächst auch bei weiter ansteigender Belastungsintensität auf niedrigem Niveau konstant gehalten werden kann. Die Skelettmuskulatur selbst kann kein Laktat metabolisieren. Bei weiter ansteigender Belastungsintensität wird aber die Laktatproduktion schließlich größer als die maximale Laktatelimination (d.h. es entsteht mehr Laktat als abgebaut wird). Ab diesem Zeitpunkt bzw. ab dieser Leistung beginnt eine Nettolaktatproduktion.

 

Die Nettolaktatproduktion verursacht steigende Blutlaktatspiegel

Die Nettolaktatproduktion verursacht einen kontinuierlichen und mit zunehmender Leistung immer rascheren Anstieg der Laktatkonzentration im Blut. Das Laktat wird vom Bicarbonat im Blut abgepuffert, wodurch eine proportionale Menge an CO2 freigesetzt und über die Lunge abgeatmet wird. Nach Einsetzen der Nettolaktatproduktion kommt es bis zur Ausbelastung zu einer Verdoppelung der Sauerstoffaufnahme.

Die anaerobe Schwelle gibt Auskunft über den nutzbaren Anteil der maximalen Sauerstoffaufnahme für Ausdauerbelastungen, also über deren Ausschöpfbarkeit.

 

Bestimmung der anaeroben Schwelle

Die anaerobe Schwelle kann über die Messung der Blutlaktatspiegel unter Belastung bestimmt werden. Dabei wird die Laktatkonzentration kontinuierlich bei verschiedenen Belastungen gemessen. Die maximale Belastung, die noch zu einem Gleichgewicht aus Laktat-Produktion und Elimination, also zu einem Laktat-steady-state, führt, zeigt die anaerobe Schwelle an. Höhere Belastungen führen zu einem steten Anstieg des Blutlaktats.
Wird die anaerobe Schwelle mit der Laktatmessung bestimmt, dann gilt folgendes: Je länger die einzelnen Belastungsstufen bei der Ergometrie, desto höher wird der Laktatspiegel auf diesen Belastungsstufen, da das Erreichen des Laktat-steady-state bis zu 12 Minuten dauern kann. Und je höher das Laktat auf den einzelnen Belastungsstufen bestimmt wird, desto niedriger fällt die anaerobe Schwelle aus. Da bei gängigen Leistungstests die Belastungsstufen nur 2–4 Minuten dauern, ist das gemessene Laktat immer niedriger, als es dem Laktat-steady-state entspricht. Daher wird die anaerobe Schwelle immer höher angegeben als sie in Wahrheit ist, was nachteilige Folgen für die Trainingsempfehlungen hat. Auch 6 Minuten dauernde Belastungsstufen führen nicht zum "quasi-steady-state" für entsprechende Voraussagen des maximalen Laktat-steady-state (MLSS).
Das MLSS ist diejenige höchste Belastung, die ohne Laktatanstieg über eine längere Zeit geleistet werden kann.

Dauerbelastungstests notwendig!
Es ist falsch, den MLSS mit einer fixen Laktatkonzentration (z.B. 4 mmol/l) aus einem stufenförmigen Belastungstest abzuleiten. Daher muss des Ergebnis eines Stufenbelastungstests durch einen 30 Minuten-Dauerbelastungstest mit konstanter Belastung verifiziert werden.
Nur wenn das Laktat zwischen der 10. und 30. Belastungsminute um weniger als 1 mmol/l ansteigt, handelt es sich um ein Laktat-steady-state!
Diese Messungen werden mit steigender Belastung an unterschiedlichen Tagen durchgeführt. Test für Test werden die Belastungen erhöht, bis dass Blutlaktat akkumuliert und während der konstanten Belastung steigt. Da das MLSS diejenige höchste Belastung ist, die ohne Laktatanstieg über eine längere Zeit geleistet werden kann, entspricht somit der höchsten konstanten Dauerbelastung, bei der es noch nicht zu einem Nettolaktatanstieg kam, dem MLSS.

Dauerbelastungstest: Laktatspiegel im Blut bei verschiedenen Belastungsintensitäten

Dauerbelastungstest
Die Abbildung zeigt das Beispiel eines Elitesportlers, dessen Blutlaktatkonzentration bis zu einer Leistung von 300 W über 30 Minuten nicht weiter ansteigt. Dies ist die anaerobe Schwelle (ANS).
(modifiziert nach Beneke R., Medicine a. Science in Sports a. Excercise, Juni, 2000)

Das MLSS zeigt also die individuelle Belastung bei der die Laktatproduktion die -elimination (=Laktatclearance) noch nicht übersteigt und es daher zu keiner Nettolaktatproduktion kommt. Das MLSS muss auch nicht bei 4 mmol/l liegen, sondern kann höher oder aber auch unterhalb dieser "Willkürschwelle" sein. Sie ist nicht nur eine individuelle Variable, sondern hängt auch von der Sportart ab. So liegt das MLSS beim Rudern deutlich unterhalb, bei speed skating über der 4 mmol-Annahme. Entscheidend ist, dass die Laktatproduktion die Laktatclearance nicht übertrifft, denn sonst kommt es zur Nettolaktatproduktion.

Im Gleichgewicht von Produktion und Elimination läuft der Stoffwechsel immer zu 100% aerob, auch wenn das Laktat über 4 mmol/l liegt. Daher kann die Laktatkonzentration am MLSS nicht für Trainingsempfehlungen dienen. Da bei länger dauernden (über 15 min) Belastungen im MLSS die Herzfrequenz zunimmt, bedingt durch die Kardiovaskuläre Drift, kann man auch keine "Trainings-HF" ableiten. Die oft gebrauchte unkritische Bezeichnung "anaerobe Phase" für alle Belastungen mit einem Laktatspiegel mehr als 4 mmol/l ist daher falsch!

 

Anaerobe Schwelle hängt auch von der Sauerstoffanlieferung ab

Während die VO2max (=die maximale Sauerstoffaufnahme) durch die mitochondriale Enzymmasse, also durch die Mitochondriendichte definiert ist, spiegelt die anaerobe Schwelle auch den Aspekt der Sauerstoffanlieferung an die Mitochondrien wieder. Die Sauerstoffanlieferung hängt von der Kapillardichte im Skelettmuskel ab. Je höher die Kapillardichte ist, desto kürzer ist die mittlere Diffusionsstrecke von den Kapillaren zu den Mitochondrien und umgekehrt, je geringer die Kapillardichte ist, desto länger ist die mittlere Diffusionsstrecke. Die Kapillardichte ist grundsätzlich mit der Mitochondriendichte der Muskulatur korreliert und beide sind abhängig vom Ausmaß der aeroben Beanspruchung des Muskels z.B. durch Ausdauertraining oder Detraining, also Bewegungsmangel. Es ist aber zu vermuten, dass die zelluläre Änderung der Mitochondriendichte rascher vor sich geht, als die Änderung der Kapillardichte.

 

Bewegungsmangel vermindert anaerobe Schwelle

Bei langjährigem Bewegungsmangel oder in Folge der Immobilität bei chronischer Erkrankung kommt es durch die langfristig aerobe Minderbeanspruchung der Skelettmuskulatur zu einer verminderten VO2max und auch zu einer verminderten anaeroben Schwelle. Umgekehrt zeigt eine hohe VO2max bei normaler anaerober Schwelle, dass durch eine kurzfristige Erhöhung des Bewegungsumfanges in den ersten Monaten bei Beginn eines Ausdauertrainings die Trainingsanpassungen (Kapillarisierung) noch nicht vollständig abgeschlossen sind.
Eine niedrige anaerobe Schwelle bedeutet einen frühen Beginn der Nettolaktatproduktion und damit eine niedrige oxidative Kapazität der Skelettmuskulatur. Diese geringe oxidative Kapazität der Skelettmuskulatur kann durch eine geringe Mitochondrienanzahl bedingt sein und/oder auf einer geringen Kapillardichte in der Muskulatur. In der Regel trifft beides zu. Nur in den ersten 3 Monaten nach Beginn eines Ausdauertrainings kann die Mitochondrienmasse schon erhöht und die Kapillardichte noch nicht entsprechend sein! In dieser Situation ist die VO2max bereits angestiegen, die anaerobe Schwelle aber noch niedrig. Mit Fortsetzen des Ausdauertrainings bleibt die VO2max gleich und die anaerobe Schwelle wird dann höher.

 

Hohe VO2max und anaerobe Schwelle durch Training

Überdurchschnittlich hohe VO2max und eine überdurchschnittlich hohe anaerobe Schwelle ist typisch für langjährig trainierende Ausdauersportler, insbesondere wenn der Trainingsumfang hoch ist und gleich bleibt. Denn es besteht eine positive Korrelation des MLSS zur Leistungsfähigkeit: Wer eine hohe absolute Leistung erreicht, hat auch eine hohe MLSS-Belastungsfähigkeit. (Am MLSS werden überwiegend Kohlenhydrate verbrannt, erkennbar am RQ mit fast 1. Daher wird ein 30-60 minütiges Training am MLSS nicht häufig pro Woche durchgeführt, da die Wiederauffüllung extrem leerer Glykogendepots bis zu 3 Tage dauert. Wenig erfahrene Athleten tendieren zu einem zu "harten Training" im MLSS während leichterer Trainingseinheiten und nicht ausreichend schweren Trainingseinheiten bei intensiven Einheiten.)

Der höchstmögliche Wert der anaeroben Schwelle liegt bei ca. 90% der VO2max, aber für "Normalsterbliche", also nicht Elitesportler, bei 60-75% der VO2max.  

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Letzte Änderung 2005-11-12

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