Was ist Heparin?
Heparin ist ein Medikament, das die Blutgerinnung hemmt. Es schützt vor
Blutgefäßverstopfungen oder hilft, solche zu beseitigen.
Wer bekommt Heparin?
Einerseits Patienten, die man vor Blutgefäßverstopfungen schützen muss
(vor/bei/nach Operationen, Bettlägrigkeit, Gipsverbände, u.a.). Andererseits Patienten,
die schon eine Blutgefäßverstopfung haben, die behandelt werden muss. Auch beim
Herzinfarkt kann Heparin eingesetzt werden. Ein weiteres Einsatzgebiet von Heparin ist die
Behandlung einer im ganzen Körper unkontrolliert ablaufenden Gerinnung (DIC).
Was ist eine Heparin-induzierte
Thrombozytopenie (HIT)?
Wie der Name sagt ist die HIT eine durch Heparingabe ausgelöste Verminderung der Zahl der
Blutplättchen (Thrombozyten).
Genauer betrachtet unterscheidet man verschiedene Typen von HIT. Und nur die HIT vom
Typ II ist von größerer Bedeutung. Typ I verursacht hingegen keine besonderen
Probleme. Auf dieser Seite ist daher mit HIT immer HIT vom Typ II gemeint.
HIT Typ I ist eine durch Heparin ausgelöste, leichte Verminderung der
Blutplättchen (um 20-30% des Ausgangswertes, selten unter 100.000/µl), die meist 1 bis 5
Tage nach der Heparingabe auftritt. HIT Typ I tritt zwar häufig auf, ist aber
ungefährlich. Blutgefäßverstopfungen werden durch diese Erscheinung nicht ausgelöst.
Es ist auch nicht notwendig mit der Heparingabe aufzuhören. Spezielle Antikörper wie bei
HIT Typ II lassen sich beim Typ I nicht im Blut finden.
Warum kommt es zur Heparin-induzierten
Thrombozytopenie (HIT)?
- HIT-Antikörper werden gebildet
Das verabreichte Heparin bindet sich an einen im Blut vorkommenden Eiweißstoff.
Dieser Eiweißstoff kommt aus den Blutplättchen, er wird Plättchenfaktor 4 genannt,
kurz PF4. Diese Bindung führt dazu, dass sich der PF4 an einigen Stellen etwas
verändert. Damit wird er für unser Abwehrsystem zu etwas Fremden. Und gegen fremde
Stoffe bildet unsere Abwehr Antikörper. Genau das passiert: es werden Antikörper gegen
den am Heparin gebundenen PF4 gebildet.
- Die HIT-Antikörper aktivieren die Gerinnung
Die gebildeten Antikörper binden sich jetzt an das Gebilde aus PF4 und Heparin. Dieser
Komplex aus Heparin, PF4 und Antikörper wieder kann Blutplättchen aktivieren. Aktivierte
Plättchen können verklumpen und die Blutgerinnung auslösen, was letztlich zu dem Abfall
der im Blut messbaren Plättchenzahlen und zu den Blutgefäßverstopfungen führt.
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Vereinfachtes Schema der Entstehung von HIT
Der Plättchenfaktor 4 (PF4), bindet sich an das Heparin-Molekül (blaue Spirale). Dadurch
verändert er sich an seiner Oberfläche (gelbe Stellen). Unser Immunsystem bildet
daraufhin Antikörper gegen diesen veränderten, "fremden" PF4. Der Komplex aus
Heparin, PF4 und Antikörper lagert sich an die Blutplättchen an und aktiviert sie. Dies
führt letztlich zum Abfall der Plättchenzahl im Blut und zu Blutgefäßverstopfungen.
Es sei erwähnt , dass in seltenen Fällen etwas ähnliches auch mit anderen
Eiweißstoffen als dem PF4 passieren kann und zwar mit dem Interleukin-8 und mit dem sog.
NAP-2, dem Neutrophilen-Aktivierungs-Protein. Auch Antikörper gegen diese Eiweißstoffe
können eine HIT auslösen. |
Wann kommt es zu einer HIT?
- In den meisten Fällen am 5. bis 10. (seltener bis 20.) Tag einer
Heparinbehandlung (ca. 70% der Fälle, "Typical-Onset HIT").
Dies passiert also bei laufender Heparinbehandlung.
- Bei ca. 30% der Fälle kommt es schneller dazu ("Rapid-Onset
HIT", Abfall der Blutplättchenzahl fallweise schon 30 Minuten nach der Gabe).
Bei diesen Patienten stellt sich meist heraus, dass sie in der vorangegangenen Zeit
bereits einmal Heparin bekommen haben (innerhalb der letzten 100 Tage). Von diesen
Heparingaben muss der Patient nichts wissen. Auch während Operationen und bei liegenden
Infusionsschläuchen wird gelegentlich mit Heparin "gespült".
- Selten kommt es 1 bis 2 Wochen nach einer
einzigen Heparingabe zu einer "verzögerten" HIT ("Delayed-Onset
HIT").
Wie kann man eine HIT erkennen?
Hinweise auf das Vorliegen einer HIT sind:
- Verminderung der Blutplättchen (Thrombozytopenie)
Ein Abfall der Blutplättchen um mehr als 50% des Ausgangswertes auf Werte zwischen 20.000
und 100.000/µl ist besonders typisch.
Der Verdacht wird natürlich konkreter, wenn man keine andere Ursache für die
Verminderung der Blutplättchen findet.
- Zeitpunkt des Abfalls der Blutplättchen oder
anderer Beschwerden
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Besonders typisch ist ein beginnender Abfall am 5. bis 10. Tag
einer Heparinbehandlung.
(oder innerhalb eines Tages, wenn der Patient in den vorangegangenen 100 Tagen
bereits Heparin erhalten hat) |
- Blutgefäßverstopfungen (Thrombosen)
Beinvenen, Lungenarterie (Pulmonalembolie), Beinarterien, Hirnvenen oder
Hirnarterien (Schlaganfall), Herzkranzgefäße (Herzinfarkt), Gliedmaßenarterien u.a.
- Hautveränderungen an der Injektionsstelle
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Dabei kann es sich nur um Hautrötungen handeln, die viele
Ursachen haben können, es kann aber bis zu absterbenden Hautstellen (=Hautnekrosen, siehe
Abbildung links) gehen, bei denen der Verdacht auf eine HIT schon näher liegt. |
- Allgemeinsymptome nach Heparinbolus
Etwa 5 bis 30 Minuten nach Gabe einer größeren Heparinmenge in eine Vene
(Heparinbolus) können bei HIT allgemeine Beschwerden auftreten: Fieber,
Schüttelfrost, Atemnot, Bluthochdruck.
- Labortests, die die HIT-Antikörper nachweisen.
Wie funktionieren die Labortests?
Es gibt grundsätzlich 2 verschiedene Tests um HIT-Antikörper nachzuweisen:
- sog. Antigen-Tests (einfach durchzuführen)
Um nachzuweisen ob ein HIT-Antikörper im Blut des Patienten vorhanden ist, gibt
man passende Antigene zur Blutflüssigkeit des Patienten. Diese Antigene sind Stoffe, an
die sich HIT-Antikörper binden. Sind HIT-Antikörper vorhanden werden sie das auch tun:
sie werden sich an die dargebotenen Antigene binden.
Das verwendete Antigen ist ein Gebilde aus Heparin und Plättchenfaktor 4.
HIT-Antikörper binden sich an dieses Gebilde. Es gibt dann verschiedenste Verfahren diese
Bindung sichtbar zu machen.
- Plättchenaktivierungs-Tests (aufwändig)
Man bringt Blutflüssigkeit (Plasma) des Patienten mit Blutplättchen eines Spenders
zusammen, gibt Heparin dazu und beobachtet was passiert. Werden die Plättchen von
Patientenplasma bei Anwesenheit von Heparin aktiviert, spricht das dafür dass
HIT-Antikörper im Blutplasma vorhanden sind.
Die verschiedenen Aktivierungs-Tests unterscheiden sich in der Art, wie die
Aktivierung der Plättchen festgestellt wird. Man kann z.B. das Ausmaß der einsetzenden
Verklumpung messen oder Substanzen messen, die die Blutplättchen bei ihrer Aktivierung
freisetzen.
Wichtig ist der prinzipielle Unterschied zwischen diesen Tests: mit
dem Antigen-Test weist man das Vorhandensein der HIT-Antikörper nach, mit den
Plättchenaktivierungs-Tests weist man nach, was dieser Antikörper "anstellt".
Hinweise zur Interpretation
der Labortests
(Vorbemerkung: positiv heißt, es wurden
HIT-Antikörper gefunden)
- Wer einen HIT-Antikörper hat, muss deswegen noch keine HIT
haben
Besonders die empfindlichen Antigen-Tests finden häufig Antikörper bei Patienten unter
Heparinbehandlung, die überhaupt keine Anzeichen einer HIT aufweisen und auch keine HIT
haben. Ja selbst bei Gesunden ohne jede Therapie zeigen Antigen-Tests fallweise positive
Resultate.
- Findet man keinen Antikörper ist eine HIT sehr
unwahrscheinlich
Die empfindlichen Antigen-Tests eignen sich recht gut zum Ausschluss einer HIT: hat man
keine Antikörper gefunden, ist eine HIT sehr unwahrscheinlich.
Da gibt es aber zwei Einschränkungen: 1. Nicht alle Antigen-Tests sind so
empfindlich, manche können auch bei eindeutiger HIT negativ sein. 2. Es wurde weiter oben
schon kurz erwähnt, dass es (allerdings sehr selten) auch HIT-Antikörper gibt, die nicht
gegen Plättchenfaktor 4, sondern gegen andere Stoffe gerichtet sind (Interleukin-8,
NAP-2). Solche HIT-Antikörper kann man mit üblichen Antigen-Tests nicht erfassen, mit
Plättchenaktivierungs-Tests schon.
- Positive Plättchenaktivierungs-Tests findet man fast nur bei
HIT
Im Gegensatz zu den Antigen-Tests spricht ein positiver Plättchenaktivierungs-Test mit
hoher Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer HIT.
Und bei diesen Tests ist es auch egal, ob der HIT-Antikörper gegen
Plättchenfaktor 4 oder gegen andere Stoffe (Interleukin 8, NAP) gerichtet ist.
Der Plättchenaktivierungs-Test erfasst alle Antikörper.
- Negative Plättchenaktivierungs-Tests schließen eine HIT
nicht sicher aus
Schlussfolgerung:
Kein Test ist 100% sicher, eine Diagnose kann nur durch die Beachtung aller Laborbefunde
und der Beschwerden und Zeichen des Patienten erfolgen.
Wann treten HIT-Antikörper auf und
wie lange sind sie nachweisbar?
Typischerweise treten sie etwa am 5. bis 6. Tag unter Heparingabe auf.
Nach abgelaufener HIT lassen sich HIT-Antikörper bei manchen Patienten nur wenige Tage,
bei anderen über 3 Monate lang nachweisen. Mit Antigen-Tests findet man grundsätzlich
noch länger Antikörper als mit den Plättchenaktivierungs-Tests, weil die ersteren
empfindlicher sind.
Nach 50 Tagen findet man mit den Antigen-Tests noch bei ca. 75% der Patienten, mit
den Plättchenaktvierungs-Tests bei ca. 50% der Patienten Antikörper (Warkentin, New
England Journal of Medicine, 2001).
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Anteil (%) der Patienten mit
nachweisbaren HIT-Antikörpern im Zeitverlauf
(modifiziert nach Warkentin, New England Journal of Medicine,
2001) |
Was macht man, wenn es zu einer HIT gekommen
ist?
- Bei einer HIT mit Blutgefäßverstopfungen wird Heparin sofort
abgesetzt und ein anderer Hemmstoff der Blutgerinnung gegeben (aber kein Marcoumar oder
ähnliche Stoffe und auch kein anderes Heparinprodukt).
- Auch wenn die HIT-Antikörper noch keine Blutgefäßverstopfungen
sondern nur eine Verminderung der Plättchen ausgelöst haben (sog. Isolierte HIT), sollte
man so reagieren. Auch dann sollte man nicht nur das Heparin absetzten sondern auch sofort
einen anderen Hemmstoff der Blutgerinnung anwenden.
(Warkentin, British Journal of Haematology, 2003)
- Manchmal müssen Blutgefäßverstopfungen auch operativ entfernt
werden.
Wie schwer kann eine HIT verlaufen?
Sehr schwer. Eine HIT kann lebensbedrohlich sein (Herzinfarkt, Schlaganfall,
Lungenembolie) oder zum Verlust von Gliedmaßen führen.
Wovon hängt das Risiko eine HIT zu erleiden
ab?
- Heparin-Typ
Grundsätzlich ist das Risiko bei "normalem", sog. unfraktioniertem Heparin
(=HMW-Heparin) viel größer als bei Verwendung von fraktioniertem Heparin (=LMW-Heparin).
Dies ist ein Grund, warum sich das LMW-Heparin immer mehr durchsetzt.
Daneben hat Rinder-Heparin ein höheres Risiko als Schweine-Heparin.
- Dosis
Dosissteigerungen des Heparins können eine HIT auslösen.
- Dauer der Heparingabe
Das Risiko ist gering, wenn Heparin nur 5 Tage oder kürzer verabreicht wird
- Geschlecht
Frauen zeigen häufiger eine HIT als Männer
- Patientengruppe
Bei Heparinanwendung nach Operationen ist das Risiko höher als bei Heparingaben aus
anderen Gründen
Darf ein Patient, der einmal eine HIT
hatte, wieder Heparin bekommen?
Man würde glauben, dass jemand der einmal eine HIT hatte, bei nochmaliger Heparingabe
sicher wieder eine entwickelt. Dem ist nicht so. Die meisten Fälle mit länger
zurückliegender HIT entwickelten bei der nochmaligen Heparingabe keine HIT. Dennoch wird
empfohlen, Patienten, die einmal eine HIT durchmachten, nur mehr in absolut unvermeidbaren
Fällen wieder Heparin zu geben. Und das auch nur dann, wenn mit empfindlichen Tests keine
HIT-Antikörper mehr nachweisbar sind (Warkentin, New England Journal of Medicine, 2001).
Besteht bei der Heparingabe vor
Flugreisen Gefahr?
Vor Flugreisen wird häufig eine Heparin-Einmalinjektion empfohlen. Das Risiko, dabei eine
HIT zu entwickeln, ist gering. Einerseits besitzen die hierbei verwendeten
LMW-Heparine ohnehin ein niedriges Risiko eine HIT auszulösen, andererseits wird bei
Heparin-Einzelgaben nur sehr selten eine HIT beobachtet.
Trotzdem bedarf jede Medikamenteneinnahme einer Risikoabwägung. Die Entscheidung
muss der verschreibende Arzt treffen. |